Krankenhaus Wimbern entsteht in Nacht- und Nebelaktion

Die Geschichte der Sonderanlage „Aktion Brandt“ in Wimbern und damit die des späteren Herz-Mariä-Krankenhauses Wimbern nahm ihren Anfang viele Monate, bevor überhaupt der erste Spatenstich gemacht wurde – doch um sie zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichtsbücher notwendig.

Luftaufnahme
Luftbild von der Baustelle des Wimberner Krankenhauses im Mai 1943 (roter Kreis). Es ist deutlich zu erkennen, wo die Baracken stehen werden.

Der Zweite Weltkrieg begann mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939. Bis Mitte 1941 wurde der Konflikt von der deutschen Wehrmacht in Europa vorwiegend als auf raschem mechanisiertem Vormarsch beruhenden Eroberungskrieg geführt. Nach Polen wurden Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, der Großteil Frankreichs, Jugoslawien und Griechenland erobert und besetzt. Westpolen, Luxemburg und Elsass-Lothringen wurden ins Deutsche Reich eingegliedert, während andere Gebiete mit vom Deutschen Reich abhängigen Regierungen beherrscht und wirtschaftlich ausgebeutet wurden. Juden, Oppositionelle und des Widerstands gegen den Nationalsozialismus verdächtigte Personen wurden planmäßig verschleppt, zur Zwangsarbeit herangezogen oder sofort ermordet. Großbritannien war vor der Kapitulation Frankreichs am 22. Juni 1940 bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion (22. Juni 1941) Deutschlands einzig verbliebener europäischer Kriegsgegner.1

Während an der Ostfront noch die Schlacht um Kiew tobte, verfasste Adolf Hitlers Leibarzt, Professor Dr. Karl Brandt, am 24. August 1941 folgenden Brief, der an den Reichsleiter Martin Bormann gerichtet war:

Der Führer hat auf Grund entstandener Notwendigkeiten angeregt, dass bestimmte luftgefährdete Städte (Hannover, Hamburg, Bremen usw.) Ersatzbauten für beschädigte Krankenhäuser erhalten sollen und darüber hinaus diese Ersatzkrankenhäuser so groß angelegt werden, dass sie in der Lage sind, evtl. übermässig anfallendes Krankengut aufzunehmen. Sie sind bei den Besprechungen, die auch mit Dr. Todt gehalten wurden, teilweise dabei gewesen. Zu Ihrer Information und mit der Bitte um weitere Veranlassung fasse ich folgendes zusammen:

  1. Bestimmte mit der Organisation Todt vereinbarte luftgefährdete Städte erhalten Zusatz-Krankenhäuser.
  2. Die Kosten für die Bauten, damit verbun­dene Krankenverlegungen usw., sind vom Reiche aus zu tragen.
  3. Die Gebäude selbst werden von der Organisation Todt (Anmerkung der Redaktion: Im Verlauf des Briefes wird die Organisation Todt mit „O.T.“ abgekürzt.) nach gemeinsamer Planung auch in Verbindung mit mir gebaut.
  4. Soweit es möglich ist, können im Gebiet der betreffenden Städte liegende Heil- und Pflegeanstalten als Grundlage für derartige Krankenhäuser herangezogen werden. Die Bereitstellung derartiger Anstalten erfolgt im Einverständnis mit dem Sonderbeauftragten (Dr. Linde) im Reichsinnenministerium.
  5. Nach Fertigstellung der baulichen Anlagen dieser Ersatz-Krankenhäuser soll die NSV.* den Betrieb übernehmen. Die O.T. kann, wenn es notwendig erscheint, von der NSV. zur Unterstützung herangezogen werden.
  6. Die Gebäude (Baracken) werden später, wenn sie nicht mehr notwendig sind, der O.T. zu anderer Verwendung zur Verfügung gestellt.

Es ist selbstverständlich, dass die Massnahmen in den einzelnen Gebieten im Einverständnis und in stetiger Fühlungsnahme mit den Gauleitern erfolgen. Es erscheint auch notwendig, dass das Tempo des Bauens Rücksicht nimmt auf andere, zurzeit gerade in den luftgefährdeten Städten erforderlichen Bauarbeiten, dass also z.B. im Bau befindliche Luftschutzbunker nicht stillgelegt werden, um die dort angesetzten Arbeiter für die Neuanlagen der Krankenhäuser abzuziehen.

Um jedoch überhaupt die Möglichkeit zu haben, die Ersatzkrankenhäuser zu bauen, ist es notwendig, dass die O.T. die Mitteilung erhält, dass für diese Aufgabe die Fertigungsstufe SS und die Baustufe 0 angenommen wird. Es ist ausserdem die „Auflage für besondere Werke“ zu erteilen.

Solange es notwendig ist, habe ich mit der O.T. (Dr. Poschmann), Abteilung Sanitätswesen, direkte Verbindung.

Bundesarchiv Koblenz, R 43 II 737b, Bl. 103, 104

Damit waren die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Bau von Ausweichkrankenhäusern im Deutschen Reich geschaffen – doch es sollte noch etliche Monate dauern, bis ein solches für das Ruhrgebiet auch in Wimbern entstehen würde.

Am 2. Dezember 1942 verfasste der Amtsbaumeister des Amtes Menden für den damaligen Amtsbürgermeister, der auch für Wimbern zuständig war, folgende Aktennotiz:

Unbekanntes Bauvorhaben in Wimbern

Vor etwa 3 Wochen erschien ein Architekt Namens Jakobs aus Detmold bei dem Amtsbaumeister und bat um Auskunft über die zuständige Fahrbereitschaft. Bei dieser Gelegenheit erklärte er, dass voraussichtlich in der Gemeinde Wimbern, bei Schlünder am Graben, ein Ausweichkrankenhaus errichtet werden sollte. Die Pläne hierfür lägen aber noch nicht fest. Die Angelegenheit würde noch in Berlin bearbeitet. Nach dieser Zeit habe ich von der Angelegenheit nichts mehr gehört. Durch die Bevölkerung erfuhr ich, dass dort Absteckungen vorgenommen und Material und Baubuden aufgestellt würden. Gestern, am 1. Dez. begab sich der Amtsbaumeister an Ort und Stelle um festzustellen, was dort gebaut werden sollte. Die Bauleitung, die auf dem Gute Schlünder untergebracht ist, war nicht anwesend. Die dort beschäftigten Arbeiter konnten keine Auskunft geben. Ich habe mich mit dem Grundstückseigentümer, dem Baron von Boeselager ins Benehmen gesetzt der mir erklärte, es sei ein Beauftragter der Reichsautobahn Essen zu ihm gekommen und habe ihm erklärt, es solle dort gebaut und ein Barackenlager errichtet werden. Er brauche dafür etwa 17 Morgen Land und einen Teil des Waldes. Er habe sich anfangs gewehrt, da er es habe nicht verantworten können, 7 Morgen Raps schon jetzt zu schneiden. Bei der Verhandlung habe man ihm erklärt, wenn es nicht zum Abschluss des Vertrages komme, würde das Grundstück beschlagnahmt. Hierauf habe er einen Pachtvertrag abgeschlossen. Der Bürgermeister der Gemeinde Wimbern erklärte mir auf Befragen, dass vor etwa 3 Wochen der Architekt Jakobs bei ihm gewesen sei und ihn gefragt habe, wo er ein Baubüro aufstellen könne, es solle an der besagten grünen Stelle einiges gebaut werden. Er habe ihm einen Ausweis vorgelegt mit dem Inhalt, dass dem Inhaber von den Behörden Rat und Hilfe entgegen gebracht werden solle. Er sei daraufhin mit dem Inhaber dieses Schreibens nach Höllinghofen zu dem Baron von Boeselager gefahren und habe den Architekten mit diesem bekannt gemacht. Der Baron von Boeselager sei aber nicht gewillt gewesen, das Grundstück zu verpachten. Über den Ausgang könne er nichts bestimmtes sagen.

Wie an Ort und Stelle festgestellt, sind Absteckungen vorgenommen, ferner ist eine Baubude aufgestellt. Irgendwelche Unterlagen hierüber sind mir dienstlich nicht bekannt.

Ich bitte um Mitteilung, ob die Unterlagen dort eingereicht sind und zu verfügen, ob die Baustelle bis zur weiteren Regelung der formgerechten Erledigung stillgelegt werden soll.

Zu Ihrer Orientierung füge ich ein Messtischblatt bei in dem der Bauplatz grün schraffiert ist. Ich würde es sehr bedauern, wenn diese landschaftlich schöne Gegend durch das mir unbekannte Bauvorhaben leiden würde.

Stadtarchiv Menden, Bestand 856; Brief vom 2. Dezember 1942

Eine Antwort auf das Schreiben ließ nicht lange auf sich warten. Am 30. Dezember 1942, also vier Wochen nach der Aktennotiz des Amtsbaumeisters, teilte der Mendener Amtsbürgermeister diesem unmissverständlich mit,

… dass mit Rücksicht darauf, dass es sich um ein kriegswichtiges Bauwerk handelt, Einwendungen nicht zu erheben sind.

Stadtarchiv Menden, Bestand 856; Brief vom 30. Dezember 1942

Gleichzeitig bat er allerdings darum, nach Fertigstellung der Baracken den Straßenrand so zu bepflanzen,

… dass das Barackenlager in der landschaftlich sehr schönen Gegend weiter nicht auffällt.

Stadtarchiv Menden, Bestand 856; Brief vom 30. Dezember 1942

Währenddessen gingen die Planungen für den Bau des Baracken-Krankenhauses unaufhaltsam voran. So baten Anfang Januar 1943 die Stadtwerke Hamm den Amtsbürgermeister in Menden, sein Einverständnis zur Linienführung für die neue Wasserleitung zu geben.2 Nur sechs Tage später, am 14. Januar 1943, gab es aus dem Amt Menden grünes Licht für den Bau der Leitung3, mit der aber laut Lageplan nur die Krankenhaussonderanlage versorgt werden sollte.4 Zuvor hatte bereits das Wasserwerk für das nördliche westfälische Kohlenrevier in Gelsenkirchen seine Zustimmung sig­nalisiert und mitgeteilt, dass auch „gegen die Versorgung von Anliegern dieser Zuführungsleitung“ von seiner Seite nichts einzuwenden sei.5 So kam es dann auch – die Wasserleitung wurde 1943 gebaut. Auch Anlieger wie der Hof Schlünder an der ehemaligen Reichsstraße 63 (heute B 63, Mendener Straße) wurden fortan mit frischem Leitungswasser versorgt, wie sich Christoph Schlünder erinnert.

Ein Gebäude im Schnee
Das Baracken-Krankenhaus Anfang der 1950er Jahre – so dürfte es auch vielen Wimbernern noch in Erinnerung sein.

Den Auftrag zur Errichtung der Barackenanlage erhielt die Baufirma Heinrich Walter KG aus Wanne-Eickel, die in ihrer Festschrift zum 100-jährigen Bestehen von ihren großen Industriebauten berichtet.6

1943 wurden in der Gegend von Menden unterirdische Fabriken angelegt und in Wimbern/Sauerland eine Krankenhaus-Sonderanlage.

Festschrift der Baufirma Walter KG; Westfälisches Wirtschaftsarchiv, F 4143

Als Arbeitskräfte beschäftigte die beauftragte Firma zahlreiche Zwangsarbeiter. Diese arbeiteten unter katastrophalen Bedingungen. Mechthild Brand aus Welver hat sich ausführlich mit deren Schicksal auseinandergesetzt. Sie schreibt:

Sie waren in zwei Lagern untergebracht. Eines stand direkt neben der Baustelle, in dem sich vermutlich die deutschen Arbeiter und die Westarbeiter, mit Sicherheit aber die Franzosen befanden. Es wurde allerdings erst im Zuge der Bauarbeiten errichtet und stand daher nicht von Anfang an zur Verfügung. Das andere war ein altes Vereinshaus in Wickede, das zuerst mit allen bei der Firma Walter tätigen Arbeitern, später nur noch mit Ukrainern und Polen belegt war. Um dieses Lager tobte 1943/44 eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen dem Gewerbeaufsichtsamt in Soest und später dem Regierungspräsidenten in Arnsberg auf der einen und der Firma Walter und mehreren Beauftragten des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion (auch Rechtsministerium Speer genannt) auf der anderen Seite, die unter Einbeziehung des Reichsarbeitsministeriums schließlich beendet wurde. Das Gewerbeaufsichtsamt in Soest war für die Kontrolle der Zwangsarbeitslager im Kreisgebiet zuständig. Die Lebensbedingungen in den Unterkünften waren in der Regel nicht besonders erfreulich. Das, was die Beamten in dem Lager der Firma Walter angetroffen hatten, sprengte jedoch ihre Toleranzgrenze ganz erheblich.

Mechtild Brand: Verschleppt und entwurzelt. Zwangsarbeit zwischen Soest, Werl, Wickede und Möhnetal. Möhnesee 2010, S. 223

Das Gewerbeaufsichtsamt schaltete den Regierungspräsidenten ein, der sich zur Lösung der Angelegenheit mit verschiedenen Ministerien in Berlin in Verbindung setzte – und für eine klare Regelung bei den Zuständigkeiten sorgte. Weiter heißt es:

Das Gewerbeaufsichts­amt in Soest, nun ganz offiziell und unangefochten wieder für das Lager in Wickede zuständig, machte sich sofort an die Arbeit. Jetzt musste die Firma Walter endlich für Abhilfe sorgen. Am 2.3.1944 konnte der Gewerberat Pfingsten berichten, dass die meisten Mängel in Kürze abgestellt sein würden und man die Belegung dann reduzieren werde. Als man allerdings mit dem neuen Sozialbeauftragten am 9. März zur Besichtigung kam, stellte sich heraus, dass manche Fortschritte nicht auf sich warten ließen. Die Belegung ergab folgendes Bild: 27 Ostarbeiter, sechs Ostarbeiterinnen und 71 Angehörige polnischer Familien, darunter 18 nicht einsatzfähige Kinder und sechs Alte. Der Tagesraum auf der Kegelbahn hatte keine Sitzmöglichkeiten. Die fünf Meter lange Abortanlage war für Männer und Frauen, dafür aber ohne Sitze. Um der Rattenplage Herr zu werden, müssten die Kanalschächte dringend geschlossen werden, stellte man fest, wobei der Sozialbeauftragte allen geplanten Maßnahmen uneingeschränkt zustimmte.

Mechtild Brand: Verschleppt und entwurzelt. Zwangsarbeit zwischen Soest, Werl, Wickede und Möhnetal. Möhnesee 2010, S. 227/228

Am 2. Juni 1944 meldete schließlich der Regierungspräsident, dass alle Mängel endlich beseitigt seien.

Im Juli 1944 wurde das Lager in Wickede endgültig geräumt. Der Grund lag aber nicht darin, dass nun alle die Unbrauchbarkeit des Vereinshauses in Wickede als Lager begriffen hatten. Es wurde schlicht nicht mehr gebraucht. Die Krankenhaus-Sonderanlage in Wimbern war inzwischen fertiggestellt worden.

Mechtild Brand: Verschleppt und entwurzelt. Zwangsarbeit zwischen Soest, Werl, Wickede und Möhnetal. Möhnesee 2010, S. 228

In der Tat: Bereits Anfang April des Jahres 1944 informierte vermutlich das Amt Menden den Landrat in Iserlohn, dass nach „Rücksprache mit der Bauleitung … am 1. Mai eine Teilbelegung von 200-250 Kranken“7erfolgen solle. Wann genau allerdings der erste Patient in dem neu gebauten Baracken-Krankenhaus in Wimbern medizinisch versorgt wurde, ist nicht überliefert.

Darüber hinaus ist auch nicht exakt bekannt, wie viele Kranke in der Sonderanlage Wimbern insgesamt versorgt werden konnten. Während die Steyler Missionsschwestern im Jahre 1988 in einer Chronik das Haus rückblickend als „Großbetrieb mit 550 Betten“8 titulierten, erinnerte sich Else Zimmermann, die in den Jahren 1944 und 1945 die Krankenpflegeschule in Wimbern leitete und zwischen 1945 und 1947 Oberin (heute Oberschwester) des Ausweichkrankenhauses war, dass das Haus „für 550 Betten geplant war und mit 500 Betten belegt wurde. Diese 500 Betten verteilten sich auf 5 Stationen zu je 100 Betten. Die Anlage hatte die Abteilungen Chirurgie, Kinder, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Infektion.“9

Wie dem auch sei – am 1. April 1945, also gut fünf Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation, war die Krankenhaus-Sonderanlage mit 460 Personen belegt.10

  1. vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Weltkrieg (abgerufen am 5. November 2017) ↩︎
  2. Stadtarchiv Menden, Bestand 856; Brief vom 8. Januar 1943 ↩︎
  3. vgl. ders., Brief vom 14. Januar 1943 ↩︎
  4. vgl. ders., Lageplan vom 21. Dezember 1942 ↩︎
  5. vgl. ders., Brief vom 30. Dezember 1942 ↩︎
  6. Westfälisches Wirtschaftsarchiv, F 4143 ↩︎
  7. Stadtarchiv Menden, Bestand 856; Brief vom 5. April 1944 ↩︎
  8. Steyler Missionsschwestern SSPS: Norddeutsche Ordensprovinz. Wickede 1988,
    S. 281 ↩︎
  9. Liere, Klaus-Peter: Aus den Akten der Reichskanzlei. Über Krankenhäuser, Krankenanstalten und Bäderwesen im Deutschen Reich von 1921-1945 mit dem Versuch einer Darstellung der „Aktion Brandt“, d.h. der Errichtung von Ausweichkrankenhäusern durch das Reich im letzten Kriege. Bochum 1980. S. 81 ↩︎
  10. Kreisarchiv Altena, Bestand B Nr. 2367, Brief vom 15. November 1945 ↩︎