Die Steyler prägen Wimbern

Luftaufnahme von 1943
Das erste bekannte Luftbild von Wimbern, aufgenommen am 18. Mai 1943, dem Tag nach der Möhnekatastrophe. Die Baustelle der Baracken ist im oberen Bilddrittel deutlich erkennbar.

Die Geschichte des ehemaligen Krankenhauses in Wimbern beginnt 1942 mit dem Bau der Baracken. Sie lässt sich aber nicht ohne den Bau des Provinzmutterhauses der Steyler Missionsschwestern (SSpS1) in Wimbern, in dessen Zusammenhang die Schwestern auch die Baracken übernahmen, erzählen.

Die ehemaligen Baracken in Wimbern verdanken ihre Entstehung der „Aktion Brandt“, die Hitlers Leibarzt Karl Brandt (* 8. Januar 1904; † 2. Juni 1948) Ende 1942 ins Leben gerufen hat. Sie sollten als Ausweichkrankenhaus zur Unterbringung der Kranken und Verwundeten für die Städte Bochum, Dortmund und Hagen dienen. Die Baracken trugen den Namen „Sonderanlage Ruhr – Sauerland“. In ihnen waren Krankenräume mit 550 Betten und ärztliche Einrichtungen untergebracht. Insgesamt wurden neun dieser Ausweichkrankenhäuser im Reich gebaut.

Der Standort in der Gemeinde Wimbern lag an einem Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Ruhrgebiet, dem Sauerland und der Soester Börde, wodurch er sich als besonders attraktiv gestaltete. Bei einer sachgemäßen Pflege sollten die Baracken eine Lebensdauer von 30 Jahren haben.

Aus einem Brief vom 2. Dezember 1942 an den Landrat in Iserlohn wird deutlich, dass bereits zu diesem Zeitpunkt Unternehmungen angestellt worden waren, ein Ausweichkrankenhaus in der Gemeinde Wimbern, bei Schlünder am Graben, zu errichten. Dies teilte der Amtsbaumeister dem Architekten Jakobs aus Detmold mit. Der Amtsbaumeister kam schließlich am 1. Dezember 1942 nach Wimbern, um festzustellen, was dort gebaut werden würde. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits Absteckungen begonnen, Material war angeliefert, und Baubuden wurden aufgestellt.

Baron von Boeselager erklärte auf Nachfragen des Amtsbaumeisters, dass ein Beauftragter der Reichsautobahn Essen ihm mitgeteilt habe, es solle ein Barackenlager errichtet werden, wofür 17 Morgen Land und ein Teil des Waldes aus dem Besitz des Barons von Boeselager benötigt würden. Der Baron wehrte sich zunächst gegen die Abgabe seines Landes, da er es nicht verantworten könne, bereits zu diesem Zeitpunkt sieben Morgen Raps zu schneiden. Schließlich musste er das Land verpachten, da das Grundstück sonst beschlagnahmt worden wäre, so der Verfasser des Briefes (dieser ist unbekannt). Des Weiteren schildert der Verfasser sein Bedauern, wenn „diese landwirtschaftlich schöne Gegend“ durch das noch unbekannte Bauvorhaben leiden würde. Bereits Ende des Jahres 1942 stellt der Amtsbürgermeister klar, dass es sich bei dem Bauvorhaben in Wimbern um ein kriegswichtiges Bauwerk handele, gegen das keine Einwände zu erheben seien.

Aus einem Brief des Generalkommissars des Führers für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, Baubeauftragter für Bauanlagen „Aktion Brandt“ an den Landrat des Kreises Unna vom 22. Juni 1944 wird deutlich, dass aus dem Besitz des Freiherrn von Boeselager Grundstücke der Gemarkung Wimbern Flur 1, Flur Nr. 64, 65 und 66 und Teile aus den Flurstücken Nr. 42, 56 und 63 benötigt wurden. Insgesamt machte dies eine Fläche von 13,33 Hektar aus. Zunächst wurde die Fläche von dem Baubevollmächtigten des Reichsministeriums Speer gepachtet, da nach Kriegsende die Baracken wieder beseitigt werden sollten. Durch die verstärkten Luftangriffe war dies aber nicht mehr möglich, sodass Prof. Dr. Brandt den Kauf des Geländes anordnete. In einem Antwortschreiben vom 15. Juli 1944 machte der Amtsbürgermeister deutlich, dass es seinerseits keine Einwände gegen den Kauf des Geländes gebe.

Den Auftrag zur Errichtung der Barackenanlage erhielt die Baufirma Heinrich Walter KG aus Wanne-Eickel, die in ihrer Festschrift zum 100jährigen Bestehen von ihren großen Industriebauten berichtet.

1943 wurden in der Gegend von Menden unterirdische Fabriken angelegt und in Wimbern/Sauerland eine Krankenhaus-Sonderanlage.

Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Baufirma Heinrich Walter KG, Wanne-Eickel

Als Arbeitskräfte beschäftigte die beauftragte Firma zahlreiche Zwangsarbeiter. Diese arbeiteten unter katastrophalen Bedingungen. Mechthild Brand aus Welver hat sich in ihrem Buch „Verschleppt und Entwurzelt“ ausführlich mit Zwangsarbeitern zwischen Soest, Werl, Wickede und dem Möhnetal beschäftigt. Die Autorin schreibt:

Sie waren in zwei Lagern untergebracht. Eines stand direkt neben der Baustelle, in dem sich vermutlich die deutschen Arbeiter und die Westarbeiter, mit Sicherheit aber die Franzosen befanden. Es wurde allerdings erst im Zuge der Bauarbeiten errichtet und stand daher nicht von Anfang an zur Verfügung. Das andere war ein altes Vereinshaus in Wickede, das zuerst mit allen bei der Firma Walter tätigen Arbeitern, später nur noch mit Ukrainern und Polen belegt war. Um dieses Lager tobte 1943/44 eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen dem Gewerbeaufsichtsamt in Soest und später dem Regierungspräsidenten in Arnsberg auf der einen und der Firma Walter und mehreren Beauftragten des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion (auch Rechtsministerium Speer genannt) auf der anderen Seite, die unter Einbeziehung des Reichsarbeitsministeriums schließlich beendet wurde.

Das Gewerbeaufsichtsamt in Soest war für die Kontrolle der Zwangsarbeitslager im Kreisgebiet zuständig. Die Lebensbedingungen in den Unterkünften waren in der Regel nicht besonders erfreulich. Das, was die Beamten in dem Lager der Firma Walter angetroffen hatten, sprengte jedoch ihre Toleranzgrenze ganz erheblich.

Mechthild Brand: „Verschleppt und Entwurzelt“, 1. September 2010

Das Gewerbeaufsichtsamt schaltete den Regierungspräsidenten in Arnsberg ein, der sich seinerseits zur Lösung der Angelegenheit mit verschiedenen Ministerien in Berlin in Verbindung setzte – und für eine klare Regelung bei den Zuständigkeiten sorgte. Brand schreibt weiter:

Das Gewerbeaufsichtsamt in Soest, nun ganz offiziell und unangefochten wieder für das Lager in Wickede zuständig, machte sich sofort an die Arbeit. Jetzt musste die Firma Walter endlich für Abhilfe sorgen. Am 2.3.1944 konnte der Gewerberat Pfingsten berichten, dass die meisten Mängel in Kürze abgestellt sein würden und man die Belegung dann reduzieren werde. Als man allerdings mit dem neuen Sozialbeauftragten am 9. März zur Besichtigung kam, stellte sich heraus, dass manche Fortschritte nicht auf sich warten ließen. Die Belegung ergab folgendes Bild: 27 Ostarbeiter, sechs Ostarbeiterinnen und 71 Angehörige polnischer Familien, darunter 18 nicht einsatzfähige Kinder und sechs Alte. Der Tagesraum auf der Kegelbahn hatte keine Sitzmöglichkeiten. Die fünf Meter lange Abortanlage war für Männer und Frauen, dafür aber ohne Sitze. Um der Rattenplage Herr zu werden, müssten die Kanalschächte dringend geschlossen werden, stellte man fest, wobei der Sozialbeauftragte allen geplanten Maßnahmen uneingeschränkt zustimmte.

Mechthild Brand: „Verschleppt und Entwurzelt“, 1. September 2010

Am 2. Juni 1944 meldete der Regierungspräsident, dass die Mängel endlich alle beseitigt seien.

Die evangelischen Diakonissen hatten das Krankenhaus eingerichtet, mussten es aber den „Agnes-Karll-Schwestern“ („Braune Schwestern“) übergeben, welche die Pflege während des Krieges übernahmen. Zeitweise arbeiteten die Caritasschwestern mit den „Braunen Schwestern“ zusammen, was sich allerdings als schwierig gestaltete, woraufhin die Caritasschwestern wieder abzogen. Das Krankenhaus war anfänglich mit einer gesonderten Infektions- und TBC-Abteilung mit 120 Betten, einer gynäkologischen Abteilung mit 70 Betten, einer Kinderabteilung mit 80 Betten und einer dermatologischen Abteilung mit 80 Betten sowie einer Zentralküche unter der Leitung einer erfahrenen Köchin ausgestattet.

Nach dem Krieg besetzten die Amerikaner die Baracken und überließen sie später Polen und Engländern. Danach ging die Anlage durch die Anordnung der Militärregierung in die Verwaltung des Oberfinanzpräsidiums über, welches die Baracken ab dem 1. Juli 1947 auf Betreiben des Landrats Jacobi für zwei Jahre an den Kreis Iserlohn verpachtete. Die Kommunalverbände waren verpflichtet, für den Fall des Auftretens von Seuchen Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Das war wohl einer der Anlässe, der den Kreis Iserlohn bewogen hatte, die Krankenhausanlage zu pachten. Die Pachtsumme betrug 60.000 Mark pro Jahr.

Obwohl das Krankenhaus ständig belegt war (rund 470 von 500 Betten) und über eine vorbildliche fachärztliche Betreuung verfügte (drei Fachärzte für Innere Medizin, zwei für Chirurgie, ein Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe, ein Facharzt für Hautkrankheiten sowie sieben Volontär- und Assistenzärzte), entwickelte es sich zu einer problematischen Angelegenheit. Durch die erforderlich gewordenen Zuschüsse war der Kreis Iserlohn nicht mehr fähig, das Krankenhaus zu halten, sodass der Pachtvertrag zum 7. Oktober 1949 gekündigt werden musste. Die Städte Unna, Soest und Arnsberg verweigerten die Zahlung von Zuschüssen, obwohl sich zahlreiche Patienten von ihnen in Wimbern in Behandlung befanden. In der Sitzung des Kreistags vom 14. Oktober 1949 wurde von der Kreisverwaltung das erste Angebot des Sozialministeriums bekanntgegeben, das Krankenhaus in Wimbern als Klinik für Hirnverletzte des Landes Nordrhein-Westfalen einzurichten.

Die Baracken sollten zum 31. März 1950 aufgelöst werden. Ein Zusammenschluss von Ärzten und Angestellten versuchte zunächst, das Weiterbestehen des Hauses auf dem Boden einer Genossenschaft zu ermöglichen. Dieses Vorhaben scheiterte. Den Ärzten und dem restlichen Personal wurde gekündigt, die Patienten in andere Hospitäler verwiesen. Der Betrieb war zu diesem Zeitpunkt vernachlässigt, verkommen und abgewirtschaftet. Der Bürgermeister von Wimbern, Josef Sartorius, nannte es „eine Schande für ganz Wimbern“. Vom 15. Dezember 1947 bis 1. Mai 1950 arbeiteten die zuvor abgezogenen Caritasschwestern wieder in den Baracken.

Die Baracken standen nach der Schließung des Krankenhauses eine Zeit lang leer. Im November kamen erste Gerüchte über eine Übernahme des Krankenhauses durch die Steyler Missionsschwestern auf, zeitgleich trafen am 7. November 1950 insgesamt 240 „displaced persons“ (im Folgenden DPs) in Wimbern ein. Das Sozialministerium bestimmte die Baracken zunächst für die Ostflüchtlinge.
Durch die Verstärkung der Besatzungstruppen mussten Kasernen geräumt werden, wodurch die DPs umziehen mussten. Die Eingetroffenen in Wimbern waren Esten, Letten und Jugoslawen. Sie waren nur übergangsweise bis zu ihrer Auswanderung nach Übersee in Wimbern untergebracht. Die Männer arbeiteten tagsüber in Fabriken oder an sonstigen Arbeitsstätten, die Frauen versorgten die Wohnungen und die Fabriken. Ab dem 15. Juli 1951 zogen die Flüchtlinge nach und nach aus den Baracken ab.

Die Steyler Missionsschwestern übernahmen im November 1950 das Barackenkrankenhaus und eröffneten es am 1. Januar 1951 unter dem neuen Namen Herz-Mariä-Krankenhaus.

  1. „Congregatio Servarum Spiritus Sancti“ (deutsch: „Kongregation der Dienerinnen des Heiligen Geistes“). Die Abkürzung SSpS bezeichnet die Steyler Missionsschwestern. ↩︎