Ungewöhnliche „Hausbesetzung“: Bachstelze im Kugelfang

Auch wer schon jahrelang im Vorstand der Bruderschaft mitarbeitet, erlebt manches Mal etwas, das noch nicht dagewesen ist. Schießmeister Detlef Carrie erinnert sich:

Als Schießmeister der Schützenbruderschaft bin ich unter anderem für den ordnungsgemäßen Zustand des Kugelfangs zuständig.

Beim Vogelschießen werden immer auch die Bretter im Adlerhorst beschädigt und müssen vor dem Fest ersetzt werden. So auch im Jahr 2007. Ich hatte mich mit neuen Brettern, Säge und Akkuschrauber auf den Weg zur Vogelstange an der Schützenhalle gemacht, um die notwendigen Arbeiten durchzuführen. Bei der ersten Sichtung der Beschädigungen musste ich aber feststellen, dass schon ein Vogel im Kugelfang war.

Allerdings hatte hier keiner für mich die Arbeit erledigt, den Kugelfang instandgesetzt und den Vogel aufgehängt – nein, ein Bachstelzenpaar hatte sich hinter den Brettern ein Nest gebaut und zog dort, ohne zu wissen wie gefährlich dieser Ort für Vögel ist, seinen Nachwuchs groß. Vier Jungtiere bettelten lauthals nach Nahrung.

Schnell schossen mir die Gedanken durch den Kopf. Kein Vogelschießen, kein neuer König, keine neue Königin. Wie geht‘s nun weiter? Oft hatte man gehört, dass man Vogelnester nicht anfassen darf. Ich setzte mich zunächst erst mal ins Auto und beobachtete das Geschehen. Die Eltern waren so mit der Fütterung ihrer Jungen beschäftigt, dass sie mich überhaupt nicht zur Kenntnis nahmen. Dann kam mir die Idee. Die Familie muss umziehen. Sozusagen eine Zwangsräumung wegen Eigenbedarf. Es gab ja auch keinen Mietvertrag, also eine illegale Hausbesetzung. Das kann man nicht dulden. Ich war rechtlich bestimmt auf der sicheren Seite.

Mir fiel ein, dass ich noch ein Futterhäuschen zu Hause hatte. Das wäre doch die ideale Ersatzwohnung für die Bachstelzenfamilie. Schnell nach Hause und die neue Eigentumswohnung modifiziert. Drei offene Seiten des Häuschens mit Holz verkleidet, sodass ein schöner Haupteingang übrig blieb. Es sollte ja keine zugige Unterkunft werden, und die Kleinen sollten sich nicht erkälten. Wieder am Kugelfang angekommen, legte ich das Nest frei und holte es samt den Jungtieren heraus, um es in die neue Wohnung umzusiedeln.

Kaum war ich damit fertig, kamen die Eltern und wollten ihre Jungen füttern. Sie flatterten aufgeregt vor dem Kugelfang hin und her. Die Jungtiere, die nun auf dem Parkplatz standen, riefen so laut, dass die Eltern sich sofort daran machten, die Jungen weiter zu füttern. Das war schon mal gut gegangen. Das neue Eigenheim schien also zu gefallen. Leider konnten sie auf dem Parkplatz auch nicht bleiben. Also eine lange Leiter geholt, an den Baum hinter dem Kugelfang angelegt und die Familie Bachstelze nochmals umgesiedelt. Hoch oben im Baum hatten sie die Ruhe, die sie brauchten, um ihren hungrigen Nachwuchs großzuziehen.

So stand dem traditionellen Vogelschießen beim Schützenfest nichts mehr im Wege. Leider erging es dem Adler, der nun den Kugelfang bezogen hatte, erwartungsgemäß nicht so gut. Es ist eben ein gefährlicher Ort für Vögel.

Ich schaute immer mal wieder, wie es unserer Familie ging, bis die Jungtiere eines Tages wohl gesund und munter ausgeflogen waren.