Dunkle Wolken

Ein weiterer Schatten drohte sich über die Kirchengemeinde zu legen, als im selben Jahr, also 2006, die Dortmunder Staatsanwaltschaft ein Massengrab auf dem Barger Friedhof öffnen ließ. Der Verdacht: Es könnten Opfer der sogenannten „Aktion Brandt“ gewesen sein, die dort Ende des Zweiten Weltkrieges eilig begraben wurden. In der Internet-Enzyklopädie Wikipedia heißt es dazu:

Die Aktion Brandt war ein nationalsozialistisches Programm im Deutschen Reich, das ab etwa 1943 dazu diente, Bettenplätze für Ausweichkrankenhäuser und Lazarette … zu schaffen. Um dort Betten freizumachen, verlegte man einen großen Teil der vorhandenen Insassen in andere Anstalten. In einigen dieser Anstalten kamen viele auf Grund von Überbelegung und absichtlichem Vernachlässigen zu Tode, in anderen Anstalten wurden die verlegten Insassen gleich in großem Maßstab ermordet.1

Die Medien griffen diesen Verdacht dankbar auf, trafen jedoch auf eine wenig auskunftsfreudige – oder auskunftsfähige – Bevölkerung. Das traf sicherlich auch auf die Mitglieder des Wimberner Schützenvorstands zu. Dennoch wollte sich die Bruderschaft einer Anfrage des WDR-Fernsehens zu Bild- und Tonaufnahmen in einer Vorstandssitzung nicht entziehen. Dem Vorwurf von „Spiegel Online“ und anderen Medien („Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“)2, eine „Mauer des Schweigens“3 zu errichten oder der „unheimlichen Kraft des Verdrängens“ zu erliegen, wollten die Schützen keinen Vorschub leisten. Auch in dieser sehr bedrückenden Situation folgten sie dem Grundsatz: Wegducken gilt nicht. Wie die gesamte Bevölkerung, nicht nur im Kirchspiel Barge, waren auch die Wimberner Schützen bei aller Trauer über die würdelos auf dem Barger Friedhof verscharrten Menschen letztlich erleichtert, als sich der Verdacht nach umfassenden gerichtsmedizinischen Untersuchungen später nicht bestätigte.

Die Grabungen brachten nicht die Spuren eines NS-Verbrechens zutage, sondern Relikte aus der Zeit der deutschen Apokalypse.4

Auf dem Friedhof in Barge wurde am Volkstrauertag 2008 eine Gedenktafel mit den Namen der 44 Kinder eingesegnet, die in den Kriegsjahren ihr Leben verloren hatten.

In der Pfarrkirche in Barge wurde schließlich am 24. März 2007 ein Gottesdienst für die Menschen gehalten, die in dem Massengrab aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden worden waren. Die Fahnen­abordnung und viele Schützenbrüder nahmen an dieser Messfeier ebenso teil, wie an einer feierlichen Zeremonie am Volkstrauertag des Jahres 2008, in der eine Gedenktafel mit den Namen der 44 Kinder, die in den Kriegsjahren ihr Leben verloren hatten, vom Diakon Rüdiger Eßmann eingesegnet wurde.

Noch ein anderes schwieriges Thema beschäftigte die Schützenbruderschaft im Jahre 2007 besonders: Der geplante Weiterbau der Autobahn A 46. Der Vorstand bat Peter Fildhaut als ältestes und parteipolitisch ungebundenes Vorstandsmitglied, eine zuvor gemeinsam erarbeitete Resolution zur drohenden Durchschneidung Wimberns durch eine Autobahn in die Generalversammlung einzubringen. Sein eindringlicher Appell damals:

Das Wort Heimat verweist auf eine Beziehung zwischen Menschen und Raum.

Heimat bedeutet Identifikation, bedeutet Sich-eins-Fühlen mit seiner Umgebung! Identifikation mit seinem Zuhause, seinem Haus, seinen Nachbarn, Identifikation und Erinnerung mit den Verstorbenen, Identifikation mit Vereinen und zum Beispiel mit einem Bolzplatz, Identifikation mit dem Schützenverein, und vieles mehr.
Es ist die Gesamtheit der Lebensumstände, in denen ein Mensch aufwächst und lebt. Der Gegenpart heißt Fremde.

Dieses spüren insbesondere Menschen, die zum Beispiel aus beruflichen Gründen ihre Heimat verlassen mussten, aber um so mehr Menschen, die auf grausamste Art aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Unter uns sitzen etliche Schützenbrüder, die selbst oder mehr noch ihre Eltern dieses Schicksal erleiden mussten.

Seit den 50-er, 60-er und 70-er Jahren bis heute hat der Schützenverein hier eine integrierende Klammer erfolgreich dargestellt.

Viele Schützenbrüder, die daran gearbeitet haben, sitzen noch unter uns, viele sind schon verstorben, aber nicht vergessen. Die, die noch hier sitzen, wissen, wovon ich rede.

Dieses alles dürfen wir uns durch so einen aggressiven Eingriff in unser Umfeld nicht beschädigen lassen.

In unserer Satzung steht nach ,Bekenntnis des Glaubens‘ und ,Schutz der Sitte‘ auch die ,Liebe zur Heimat‘!

Somit ist jeder Schützenbruder aufgefordert, gemäß dieser Forderung auf unserer Fahne zu handeln und alles zu tun, um Schaden von unserer Heimat fernzuhalten.

In der Generalversammlung am 17. März 2007 wurde mit 80 Ja-Stimmen bei acht Enthaltungen diese Resolution gegen den Weiterbau der A 46 durch Wimbern verabschiedet.

Nach eingehender Beratung, in der auch Bürgermeister Hermann Arndt das Wort ergriff, folgte die Versammlung mit 80 Ja-Stimmen bei acht Enthaltungen dem eindringlichen Aufruf des stellvertretenden Brudermeisters Fildhaut und verabschiedete die Resolution.

Auch an der Halle wurde weiter fleißig gearbeitet: Noch vor dem Schützenfest wurde auf dem Vorplatz der Schützenhalle eine weitere Fläche gepflastert. Die Nord- und Westseite der Schützenhalle wurden 2007 neu verputzt.

Ein insgesamt ruhigeres Vereinsjahr verlebten die Wimberner Schützen 2008. Vielleicht gab ihnen das die Gelegenheit, sich einmal eingehender der Frage zu widmen, wie die Erinnerung an das Vergangene und an ihre eigene Geschichte wach gehalten werden kann. Der gute Vorsatz aus der Zeit der Vorbereitung des 100jährigen Jubiläums wurde jedenfalls von vier motivierten und – wie sich inzwischen gezeigt hat – auch ausdauernden Archivaren in Angriff genommen: Peter Fildhaut, Christian Meier, Dieter Meier und Ede Schmidt tragen seitdem systematisch Schrift-, Bild- und Tondokumente zusammen, die Aufschluss über das Dorf und seine Schützenbruderschaft geben können. In der Generalversammlung 2009 wurden Idee und erste Inhalte des Schützenarchivs der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das unermüdliche Werben der „Vier vom Feldweg“ um jedwede Exponate hat inzwischen reiche Früchte getragen. Sie bewahren unser Dorf damit vor einem Schicksal, das der Kulturhistoriker Jacob Christoph Burckhardt im 19. Jahrhundert einmal so formuliert hat:

Ein Dorf, das seine Geschichte nicht bewahrt, vergisst seinen Namen und verliert sein Gesicht.

Gruppenfoto mit Tisch: Beim Jungschützenfest 2009 präsentierte sich der Wimberner Schützennachwuchs. Das Foto zeigt (von links) Julian Kirch, Marco Stöger, Christian Schröder, Thorsten Goeke (verdeckt), Severin Wenzel, Max Korte, Tim Schmidt, Andreas Hainka, Julian Stöger, Johannes Korte, Christian Dümpelmann, Jan Bühner, Alexander Wenzel, Marcel Stöger, Marcel Kirch und Daniel Weische.

Zum Blick in ihre Geschichte leisteten die Schützen im selben Jahr auch einen weiteren, zwar kleinen, aber vielleicht symbolhaften Beitrag zur Gestaltung der Zukunft: Trotz knapper finanzieller Mittel machten sie es möglich, dass ein ausgesprochen repräsentativer Stehtisch von Alfred Luig angefertigt werden konnte, um den sich seitdem die Jung­schützen in der Halle versammeln. Sie sollen im Wortsinne wissen, wo sie hingehören. Dass ein kleines Dorf dazu jeden einzelnen braucht, verdeutlicht jeweils ein kleines Namensschildchen, das jeder neue Jungschütze beim Jungschützenfest anbringen darf. Ein gemeinsamer Tisch, mitten in der Schützenhalle, mitten im Dorf! Hoffentlich hört man dort noch oft und lange den Gesang: „Wimberner Jungs, Wimberner Jungs, wir sind alle Wimberner Jungs…“.

Ein „Schnäpschen“ auf den Kinderkönig 2009: Brudermeister Edmund Schmidt stößt mit Ulla Knieper, Präses Pastor Heribert Ferber und Henriette Schröder (von links) an.

Nach dem Hochamt zur Eröffnung des Schützenfestes 2009 wurde bei dem Marsch von der Barger Pfarrkirche zur Schützenhalle trotz widrigster Wetterverhältnisse ein neues Wegekreuz am Wimberner Kirchweg von Präses Heribert Ferber geweiht. Das von der Familie Langes/Köttendorf errichtete Kreuz war im Laufe der Zeit stark beschädigt worden. Von Alfred Luig wurde es komplett restauriert und erst wenige Tage vor dem Fest wieder errichtet. Heute ziert das Wegekreuz eine von mehreren Kondolenzkarten mit heimischen Motiven, die der Verein „Dorf Wimbern“ aufgelegt hat.Heribert Ferber war der erste Pastor, der allen drei Wickeder Bruderschaften geistlich beistand.

Nachdem für Barge seit dem Tod von Pastor Müller kein eigener Geistlicher mehr eingesetzt wurde, war es schwierig geworden, die Satzungsbestimmung mit Leben zu füllen, wonach die Bruderschaft „kirchlich mit der Filialkirche St. Johannes zu Barge verbunden“ ist. Die personelle Situation im Pfarrverbund Menden Nord machte jede Verbindung zu einem Mendener Präses für die Wimberner Schützen unsicherer.

Seit 2009 sind die St. Johannes-Schützen außerdem bemüht, das Heilig-Geist-Kloster nach Möglichkeit bei ihrem Festzug zu besuchen. Wenn es der „Residenz­ort“ des Königs (und das Wetter) zulassen, statten die Schützen den Schwestern einen Besuch ab. Die Initiative dazu hatte die Oberin Sr. Hildegard Ossege ergriffen. Bei ihrer Verabschiedung aus dem Amt und dem Kloster 2010 schrieb der Soester Anzeiger:

Die Anbindung des Klosters an die Wickeder Kirchengemeinden, das Kolpingwerk, die St. Johannes-Schützenbruderschaft, die kfd-Frauen und vor allem das Krankenhaus und die Häuser St. Raphael waren stets wichtig für die beliebte und kommunikative Oberin. Sie wird im allerbesten Sinn Spuren hinterlassen.

Zur Freude der Wimberner Schützen nimmt auch weiterhin regelmäßig eine kleine Delegation der Schwestern am montäglichen Dorffrühstück teil und wird dort herzlich begrüßt.

Schützen- und Feuerwehrwesen vereint auf dem Etikett, das die „Wimbeere“-Fläschchen ziert.

Das Jahr 2009 war auch Geburtsstunde einer Wimberner Spezialität, der viel gepriesenen „Wimbeere“, die im Jahre ihrer Einführung zweimal so häufig über die Theke ging wie ihr Vorgänger, der ebenfalls allseits beliebte „HaDaDa“ unseres Bierverlegers Hubert Keggenhoff. Interessant an dieser Entwicklung ist vor allem, dass es sich, abgesehen vom Etikett, um den gleichen „Wirkstoff“ handelte, wie er schon in den Jahren zuvor an tüchtige Wimberner Schnapstrinker ausgeschenkt worden war. Das Auge trinkt eben doch mit. Die Wirkung von Verpackungen sollte im Schützenwesen wie auch bei der Feuerwehr nicht unterschätzt werden. Zu beiden stellt ein kleines Cartoon Bezug her, das die „Wimbeere“-Fläschchen ziert.

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_Brandt – abgerufen am 20. März 2016 ↩︎
  2. http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/massengrab-im-sauerland-nichts-sehen-nichts-hoeren-nichts-sagen-a-441293.html – abgerufen am 20. März 2016 ↩︎
  3. http://www.focus.de/politik/deutschland/ermittlungen-geruecht-beerdigt_aid_221433.html – abgerufen am 20. März 2016 ↩︎
  4. vgl. ders. ↩︎